Hilfe: Paradox

In den letzten Tagen hatte ich einige spannende Gespräche über Paradoxa. Aber fangen wir am Anfang an: Was ist ein Paradox?

Paradox wird der performative Widerspruch genannt: Widersprüchlichkeit als Folge der Negation von Selbstbezüglichkeit, d. h. wenn eine auf sich selbst anwendbare Aussage negiert wird. Ein Beispiel ist das Paradoxon des Eubulides: "Dieser Satz ist falsch." Der Satz sagt etwas über sich selbst aus, aber: ist er nun wahr oder falsch? Er ist wahr, wenn er falsch ist und falsch, wenn er wahr ist.

In dem Roman "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams gibt es einen sogenannten Babelfisch. Mit seiner Hilfe kann man alle Sprachen des Universums verstehen - und Gott durch ein Paradox vernichten.

Auf die Unwahrscheinlichkeit der Entstehung des Babelfischs durch pure Evolution wurden kluge Denker aufmerksam und bewiesen mit Hilfe dieses Fisches, dass es Gott nicht geben kann: „Ich weigere mich zu beweisen, dass ich existiere,“ sagt Gott, „denn ein Beweis ist gegen den Glauben, und ohne Glauben bin ich nichts.“

„Aber,“ sagt der Mensch, „der Babelfisch ist doch eine unbewusste Offenbarung, nicht wahr? Er hätte sich nicht zufällig entwickeln können. Er beweist, dass es dich gibt, und darum gibt es dich, deiner eigenen Argumente zufolge, nicht. Quod erat demonstrandum.“

„Ach du lieber Gott,“ sagt Gott, „daran habe ich nicht gedacht“, und löste sich prompt in ein Logikwölkchen auf.

„Na, das war ja einfach“, sagt der Mensch, und beweist, weil's gerade so schön war, dass Schwarz gleich Weiß ist und kommt wenig später auf einem Zebrastreifen ums Leben.

Nach dem gleichen Muster ist die soziologische Systemtheorie von Niklas Luhmann gebaut. Sie basiert auf der Leitunterscheidung von System und Umwelt. So weit so einfach. Wenn man genauer nachfragt erfährt man: System = System / Umwelt ("/" steht für die Grenze). Das wird ausgesprochen als: Das System ist die Unterscheidung von System und Umwelt. Da fällt dann auf: the same is different - also ein Paradox.

Das Problem ist nun: aus Widersprüchen folgen beliebige Behauptungen. Deshalb wird gewöhnlich jeder Hinweis auf einen Widerspruch in einer Theorie als Aufforderung, eine neue, widerspruchsfreie Theorie zu finden aufgefaßt. Nicht so bei den Luhmannschen Systemtheoretikern. Sie sagen, wir können nicht anders. Warum? Selbstbezüglichkeit. Eine Theorie der Gesellschaft muß sich ja selbst, als Teil der Gesellschaft, in der Gesellschaft wiederfinden. Klar, das geht wohl nicht anders.

Die Frage ist, was ist Selbstbezüglichkeit?  Um Selbstbezüglichkeit zu verstehen, muß man erst einmal Selbstbezüglichkeit verstehen. Also definieren wir:

  • Definition von Selbstbezüglichkeit: siehe Definition von Selbstbezüglichkeit.

Nicht gut? Okay, lassen wir den Meister selber sprechen:

"Ein Paradox ergibt sich, wenn die Bedingungen der Möglichkeit einer Operation zugleich die Bedingungen der Unmöglichkeit dieser Operation sind. Da alle selbstreferentiellen Systeme, die über Möglichkeiten der Negation verfügen, Paradoxien erzeugen, die ihre eigenen Operationen blockieren (zum Beispiel sich selbst nur bestimmen können im Hinblick auf das, was sie nicht sind, obwohl sie selbst und nichts außerhalb ihrer dieses Nichtsein sind), müssen sie Möglichkeiten der Entparadoxierung vorsehen und zugleich die dazu nötigen Operationen invisibilisieren. Sie müssen zum Beispiel die rekursive Symmetrie ihrer Selbstreferenz zeitlich oder hierarchisch als Asymmetrie behandeln können..." (Luhmann, Ökologische Kommunikation ... 1986, S.268)

Alles klar? Gut! Oder doch nicht?

Das Problem ist, daß die Paradoxie von der Luhmann redet faktisch niemals auftritt, weil sie immer schon zeitlich als Nacheinander aufgelöst (entparadoxiert) ist. Eine Paradoxie besteht nur, wenn man das System zeitlos betrachtet. Aber ein System in Betrieb - genau darum geht es hier: psychische und soziale Systeme - ist immer in der Zeit. Außerhalb der Zeit wäre es tot, also kein System mehr.

In Luhmanns Systemtheorie wimmelt es nur so von Paradoxien - die alle völlig unnötig sind, denn jede Paradoxie kann zeitlich (und viele Paradoxien auch hierarchisch, sozial, etc.) aufgelöst werden. Ich habe einige Systemtheoretiker gefragt: warum diese Paradoxien? Die Antwort war im wesentlichen, weil es nicht anders geht. Leider konnte mir keiner erklären, warum es nicht anders geht - wo es doch ganz offensichtlich anders geht.

Ich bin, aber das ist bei mir eh ein Dauerzustand, verwirrt. Vielleicht stößt ein Luhmannscher Systemtheoretiker irgendwann einmal auf diesen verzweifelten Hilferuf und befreit mich von meiner Verwirrung.

Bis zu diesem Zeitpunkt werde ich irren und wirren müssen. Hm, könnte es sein, daß mich damit nur das Schicksal ereilt hat, welches Luhmann für seine Epigonen vorgesehen hatte? Sind wir vielleicht alle ...

Wir sind alle Individuen! Wir sind alle verschieden! Ich nicht!


 

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Kommentare

Das Paradoxon

Im "Großen Fremdwörterbuch" (Leipzig, 1986) wird das Paradoxon als "wirkliche oder scheinbare Widersinnigkeit" umschrieben. Wesentlich dabei finde ich die Scheinbarkeit der Widersprüchlichkeit, die doch die Möglichkeit ihrer Auflösung (z.B. durch näheres Betrachten / Analysieren) beinhaltet.

Und betrachten wir nun den Satz "Dieser Satz ist falsch". Inhaltlich gesehen ist er unsinnig; er besitzt keinen Aussagenwert und somit kann man nicht sagen, ob er wahr oder falsch ist. Betrachtet man ihn formal, so kann man durch einen indirekten Beweis zu seinem Sinn gelangen. Wir behaupten, dass dieser Satz NICHT falsch, also wahr sei. Wenn dieser Satz wahr sei, so ist er auch wahr. Und seine Negation ist dann konsequenterweise falsch, da etwas zugleich nicht wahr und falsch sein kann.

Setzen wir uns mal mit der Behauptung  "Das System ist die Unterscheidung von System und Umwelt" auseinander. Ein solcher Satz ist auch nur scheinbar widersprüchlich, weil er selbst zu wenig unterscheidet.. Wie wäre es mit folgender Deutung: "Das System des Bewusstseins ist die Unterscheidung von System und Umwelt."

System und Umwelt sind nur Konstrukte unseres Bewusstseins, die Grenzen werden gesetzt. Und selbst wenn wir uns mit den Mengen Sys und Um auseinandersetzen, so dürfen wir doch nicht die Menge Uni auslassen, von dem Sys und Um teilmengen sind:

System := {Universum \ Umwelt}

 

Wenn wir das Universum allerdings als großes System vorstellen, dann ergibt auch die obrige Behauptung Sinn. In dem Sinne:

"Bindet nichts! Es soll kein Unterschied unter euch gemacht werden zwischen einem Ding & irgendeinem anderen Ding; denn dadurch kommet Schmerz."  (Liber  Al, I 23)

Gruß,

AgapeXI

 

Systemtheorie

Wenn man Paradox so allgemein beschreibt entgehen die Feinheiten zwischen Paradox, Widerspruch, Antinomie etc. Ein performativer Widerspruch ist z. B. eine spezieller Typ von Widerspruch.

Deine Annahme, daß der Systemsatz zu wenig unterscheidet ist im Vokabular der Systemtheorie nicht bzw. nur als falsch zu verorten.  Deine Neudeutung würde zu einer  völlig anderen Theorie, vermutlich sogar zu einem völlig anderen Typ von Theorie führen. Sys und Um werden in der Systemtheorie explizit nicht als Mengen verstanden und die Welt desgleichen nicht, sie ist Horizont (i. S. Husserl).

Anders: Was Du schreibst ist im Vokabular der Systemtheorie falsch bzw. nicht anschlußfähig. In Deinem Vokabular - und vermutlich noch einigen anderen Vokabularen - ist es korrekt bzw. anschlußfähig.

Hier zum Thema Vokabular - ist alles noch ein wenig kompakt und unsortiert.