Das Theorie-Kunst-Spiel

Imaginäre-Theorie oder Begriffs-Phantasie
Die neue Spiel-Kunst des MDE:
Mutation-Destruktion-Emergenz

Kann eine Theorie ein Kunstwerk sein? 
Ja - wenn sie ein Kunstwerk ist!
Spielen ist das ganze Geheimnis!

Wenn du nicht weißt, was etwas ist, finde heraus was es nicht ist. Wenn du weißt, was es nicht ist, weißt du was es ist: Alles was übrigbleibt. Ist das so einfach? Probieren wir es aus:

  1. Nimm ein Blatt Papier und eine Schere.
  2. Falte das Blatt Papier einmal längsseits und dann breitseits jeweils etwa in der Mitte
  3. Am Kreuzungspunkt der Faltungen schneide mit der Schere ein Stück des Papiers heraus, aber schneide nicht bis zum Rand.
  4. Schneide an der Schnittkante ein weiteres Stück heraus, aber schneide nicht bis zum Rand.
  5. Siehe 4.
  6. Falte das Stück Papier auseinander und nenne es: "Welt".
  7. Nenne das ausgeschnittene Loch im Papier: "Innenseite"
  8. Nenne das noch vorhandene Papier: "Außenseite".
  9. Denke die äußeren Grenzen des Blattes weg, als ob das Blatt sich ins Unendliche ausdehnen würde und keine Grenze hätte. Warum? Du hast das Blatt "Welt" genannt. Die Außenseite ist der Rest der Welt.
  10. Nenne "Innenseite / Außenseite": "Unterscheidung"
  11. Nenne "/": Barre. Die Barre steht für die Grenze zwischen Innen- und Außenseite.
  12. Eine Unterscheidung besteht aus Innenseite, Außenseite und Barre.
  13. Du kannst nicht von der Innenseite zur Außenseite gelangen, ohne die Barre zu kreuzen.
  14. Was ist der Unterschied zwischen Innenseite und Außenseite der Unterscheidung?
  15. Auf welcher Seite der Unterscheidung müßtest Du stehen um eine Seite der Unterscheidung vollständig sehen zu können?
  16. Wie beschreibst Du die Form der Innenseite? Beschreibe nur, was Du sehen kannst.
  17. Wie beschreibst Du die Form der Außenseite? Beschreibe nur, was Du sehen kannst.

Falls Du keine Lust zu der kleinen Bastelei hattest, gehe von folgender Figur aus:

Die Religionen nennen die Innenseite "Immanenz" und die Außenseite "Transzendenz". Wir leben innen, Gott lebt außen - und mehr bedeuten diese so großartig klingenden Begriffe nicht. Aber man kann erkennen, warum Gott als allwissend vorgestellt wird: er beobachtet von außen.

Seit der Aufklärung verwendet man für die Bezeichnung von Innenseite / Außenseite oft die Bezeichnung empirisch / transzendental, womit man das, was wir wissen können von den "Bedingungen der Möglichkeit" des Wissens unterscheiden will. Aber auch das ist nur eine (säkulare) Religion.

Um das etwas neutraler zu handhaben werden wir die Innenseite "Wirklichkeit" nennen und meinen damit einfach die wahrnehmbare Welt in der wir leben. Die Außenseite nennen wir "Imaginär" und meinen damit alles - was nicht auf der Innenseite ist. Eine Konsequenz möchte ich Ihnen nicht verschweigen: Was wir von uns wahrnehmen können ist innen, aber was wir normalerweise in uns drinnen vermuten, ist draußen.

Aber das muß uns nicht weiter stören. Der Form nach gibt es, wie aus unserer kleinen Bastelei erkennbar war, keinen Unterschied zwischen der Innen- und der Außenseite. Außerdem konditionieren sich Innen und Außen jeder Unterscheidung gegenseitig. Fachausdruck: konditionierte Koproduktion.

Wissenschaftliche Theorien beschäftigen sich mit der Wirklichkeit. Imaginär-Theorien tun das auch, aber anders. Wissenschaftliche Theorien versuchen empirisch, also auf der Innenseite, zu sein und zu bleiben. Imaginär Theorien, könnte man vermuten, versuchen Löcher in die Innenseite zu schießen. Wie kann man in ein Loch (Innenseite) Löcher schießen - also eine neue Innenseite in die bisherige Innenseite einfügen, wodurch die bisherige Innenseite zur Außenseite der neuen Innenseite wird?

Meinen Sie das sei eine Frage für die Imaginär-Theorie? Sie irren. Wissenschaftliche Theorien haben nicht nur dafür Lösungen anzubieten, sondern: Es gibt mathematische Lösungen für die Frage, wie man die Unterscheidung Innen / Außen in die Unterscheidung Innen / Außen wieder einführen kann (siehe z. B.  Spencer-Brown: "Laws of Form"). Man nennt das "re-entry", den Wieder-Eintritt der Unterscheidung in die Unterscheidung.

Das alles geht Imaginär-Theorie nichts an. Wissenschaftliche Theorien er- und verschließen Möglichkeiten. Sie sagen uns was wahre oder mögliche Möglichkeiten sind und was unwahre oder unmögliche Möglichkeiten sind. Imaginär-Theorie tut das Gegenteil. Sie geht von der Möglichkeit des Unmöglichen aus und versucht das Unmögliche als möglich zu beweisen - nicht nur darzustellen.

Romane, insbesondere Fantasie-Romane stellen das (wissenschaftlich) Unmögliche, z. B. Menschen die in der Zeit herumreisen, als Wirklichkeit hin. Imaginär-Theorie stellt es nicht als Wirklichkeit hin, sondern versucht es als Wirklichkeit her-zustellen, indem sie es als Möglichkeit anplausibilisiert.

Eine Imaginär-Theorie ist eine Theorie in der Form einer wissenschaftlichen Theorie, also mit dem ganzen empirischen-, logischen- und Verweis-Apparat der eine wissenschaftliche Theorie plausibel und ausmacht. Sie verfährt allerdings nicht Bottom-Up, also von den Fakten zur Theorie, sondern Top-Down, also vom Ergebnis zu den Fakten. Sie ist vom Ende her gedacht.

Das ist so ähnlich wie beim "investigativen Journalismus", bei Verschwörungstheorien oder in der Theologie. Die 'Satanssekte', die 'edlen Muslime' oder 'Gott-Vater' sind als unbezweifelbare Wahrheiten gegeben - jetzt muß man nur noch die Fakten passend machen. Der Unterschied ist, daß der Journalist aus Zynismus, der Verschwörungstheoretiker aus Verzweiflung an der Welt, der Theologe aus religiösem Fanatismus fantasiert - und, zumindest die beiden letztgenannten ihre Fantasien mit der Wirklichkeit verwechseln. Der Theorie-Künstler aber spielt mit Fantasien, weiß davon und will genau das tun: ein wahrhaftiger Lügner.

Warum? Wissenschaftliche Theorien versuchen die Wirklichkeit zu beschreiben indem sie in der Wirklichkeit (innen) bleiben - was natürlich nicht funktionieren kann, weil von innen eben nur einen Teil des Innen und des Außen gesehen werden kann. Was innen zu sehen ist nennen wissenschaftliche Theorien "wahr", was sie außen sehen "unwahr". Wie uns unsere kleine Bastelei zeigte, kann man das Ganze Innen aber nur von außen sehen - also mit Theorien die im imaginären ihren Standort haben: Imaginär-Theorien.

Wissenschaftliche Theorien haben insofern Recht, als man das Wirkliche nur vom Wirklichen aus sehen kann. Im Imaginären wurzelnd kann man nur das Imaginäre sehen, also auch das Wirkliche nur als Imaginär, eben als Fantasiertes, als Möglichkeit. Genau das beschreibt der Begriff des Spiels: Wirklichkeit als Imaginär, als Möglichkeit.

Der ästhetische Reiz der Theorie-Kunst liegt genau darin, daß aus (wissenschaftlich) unmöglicher Möglichkeit möglicherweise, keinesfalls notwendig, imaginäre, vielleicht wirkliche, Wirklichkeit werden könnte.

Manche nennen das Religion.
Die Antike nannte es Magie.
  Ich nenne es Kunst und Spiel.
Theorie-Kunst-Spiel.
Spielen ist das ganze Geheimnis!

  • "Wirklich" gibt es nur als Differenz zu unwirklich, sagen wir: imaginär. Die Religionen nennen es Transzendenz - und verfehlen es damit.
  • Nur vom Imaginären aus zeigt sich das Wirkliche.
  • Handeln im Bereich des Imaginären ist spielerisches Handeln. Wenn sich das Wirkliche nur vom Imaginären aus zeigt, können wir nur durch Spielen erkennen.
  • Nur das Imaginäre zeigt das Wirkliche! Nur durch Spiel erkennen wir Wirklichkeit. Das bekannte (des Alltäglichen) ist nicht das erkannte (des Spielens).
  • Wenn wir unsere Rolle spielen bleiben wir frei, wenn wir uns damit identifizieren, werden wir unfrei.
  • Kunst ist eine Form des Spielens, spielen eine Form der Kunst. Kunstspiel, Spielkunst. Ein Kunstwerk wird nicht nach Plan hergestellt, sondern erspielt.
  • Spiel ist die ergriffene Dialektik von Willkür und Notwendigkeit (Regeln) - deshalb Freiheit.
  • Zwei Arten des Handelns, Arbeit und Spiel - ersteres instrumentelle Ziele, letzteres autotelisch, Ziel in sich selbst oder Spiel-Ziel.
  • Deshalb: Den meisten Menschen fehlt der nötige Ernst, um wahrhaft zu spielen.
  • Aber: das geglückte Leben ist nur erspielbar.

Literatur:

  • Jean Paul Sartre: Das Imaginäre. Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft [1940], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1994
  • Spencer-Brown, George: Laws of Form, 1969
  • Cornelius Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie [1975], Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990
  • Hanna Gekle: Tod im Spiegel. Zu Lacans Theorie des Imaginären, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996

 "Es geht immer auf dieselbe Weise los. Mein Bild dafür ist, dass jemand im Zimmer nebenan vor einem fertigen Puzzle sitzt und mir einzelne Stücke davon zuwirft. Ich weiß anfangs nicht, was es bedeuten soll, ich weiß nur, dass ich dieses kleine Puzzlestück mag. Ich schreibe es auf, und dann kommt noch ein Stück, und ich schreibe es wieder auf, und nach und nach wird das Bild klarer und entwickelt sich."

"Wissen Sie, wann immer man eine Idee hat, ist sie in deinem Kopf, ein mentales Bild, und dann muss man sie in ein anderes Medium übersetzen. Wenn es ein Film ist, muss man eine Kulisse bauen, es sei denn, man findet einen Ort, der dem genau entspricht. Die Idee führt einen. Was immer man braucht, findet man, oder man organisiert es." (David Lynch, Regisseur)


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